Künstliche Intelligenz auf dem Vormarsch
Wird die Online-Beratung von Mensch zu Mensch bald überflüssig?
Täglich helfen unsere JUUUPORT-Scouts anderen Jugendlichen bei Problemen im Internet. Sie bestärken sie darin, sich Unterstützung zu holen, geben hilfreiche Tipps und zeigen: „Ich bin für Dich da, Du bist nicht allein.“ Doch mehr und mehr sehen wir, wie Künstliche Intelligenz (KI) im Netz Einzug hält und Chatbots wie ChatGPT viele Fragen – auch zu Cybermobbing, Hass im Netz oder Medienkonsum – einfach und schnell beantworten können.
Das wirft einige Fragen auf: Welche Auswirkungen wird KI auf den Bereich der Online-Beratung haben? Kann KI die Arbeit der Berater:innen sinnvoll unterstützen? Brauchen wir irgendwann überhaupt noch echte Menschen, die andere beraten? Wo liegen Vor- und Nachteile des einen und anderen?
Darüber haben wir mit unserer Scoutin Melli gesprochen. Sie studiert Psychologie und engagiert sich nebenbei in der Online-Beratung von JUUUPORT.
Hallo Melli, wie bewertest Du die aktuelle Entwicklung im Bereich der Künstlichen Intelligenz?
Ich finde die neuen Entwicklungen und Möglichkeiten einerseits sehr spannend und aufregend, da uns die KIs in vielen unterschiedlichen Lebensbereichen begegnen und oftmals auch unterstützen können. Andererseits finde ich es auch wichtig, notwendige Grenzen und die Risiken der Systeme zu betonen. Auf jeden Fall bin ich gespannt, welche Bedeutung KIs in Zukunft in unserem Alltag haben werden und wie sie sich generell weiterentwickeln.
Nutzt Du bereits selbst KI-Systeme in Deinem Alltag?
Im Alltag nutze ich bislang eher wenige bis gar keine KI-Systeme, aber natürlich habe ich auch mal einige Programme wie zum Beispiel ChatGPT ausprobiert, um einen Einblick in all die vielfältigen Möglichkeiten zu bekommen.
Können KI-Systeme Fragen von ratsuchenden Jugendlichen (z.B. zu Cybermobbing) sinnvoll und gut beantworten?
Ich denke, dass die aktuellen KI-Systeme die Fragen und Anliegen von Ratsuchenden teilweise beantworten und auch einige hilfreiche Tipps geben können. Andererseits sind aber auch Einschränkungen und Limitationen bei KI-Modellen vorhanden. Künstliche Intelligenzen „wissen“ einerseits sehr viel, was auch viele Themen von ratsuchenden Jugendlichen umfasst. Dies ermöglicht es Betroffenen, erste Tipps und Hilfestellungen zu bekommen. Konkret geht es dabei um Fragen wie z.B.: Was kann ich tun, wenn ich von Mobbing betroffen bin? Wie kann ich als Außenstehende:r Betroffene unterstützen? Und welche Auswirkungen kann Mobbing in der Schule, am Arbeitsplatz oder online haben? KIs haben also einige Möglichkeiten, Jugendliche mit hilfreichen Informationen zu versorgen. Sie können meiner Meinung nach allerdings nicht in gleicher Art und Weise wie menschliche Berater:innen für Ratsuchende da sein.
Du arbeitest als Beraterin bei JUUUPORT. Was unterscheidet die Antworten von Chatmodellen von Deinen eigenen?
Es gibt viele Unterschiede zwischen Texten von Menschen und solchen, die von Maschinen geschrieben worden sind. Eine KI vermittelt primär sachliche Informationen, Tipps und erste Lösungsansätze. Dies geschieht in der menschlichen Beratung ebenfalls, allerdings mit dem wesentlichen Unterschied, dass die persönliche und emotionale Unterstützung mehr im Vordergrund steht. Dadurch kann sich eine Beratungsbeziehung entwickeln, was bei einer KI eher nicht gegeben ist. Empathie, Offenheit und Flexibilität sind im Beratungsprozess sehr wichtig. Ein Chatbot antwortet oft dasselbe, während ich als Beraterin individuell auf die Bedürfnisse, Gedanken und Emotionen der Ratsuchenden eingehen und auch Rückfragen stellen kann. Darüber hinaus ist mein menschlicher Erfahrungsschatz, den ich ebenfalls mit in die Beratung einbringen kann, durch eine KI nicht zu ersetzen. Und denkt man z.B. an eine Offline- oder Video-Beratung spielen auch echte menschliche Mimik und Gestik der Zuwendung eine wichtige Rolle bei der Beratung, die Chatbots ebenfalls nicht mitbringen.
Glaubst Du, für Jugendliche macht es einen Unterschied, ob Du als Mensch ihnen hilfst oder ein Chatbot?
Ich denke schon, dass es für viele Jugendliche einen Unterschied macht, weil es nicht dasselbe Gefühl ist. Mit einem empathischen Beratenden kann eine ganz andere Nähe entstehen, die für persönliche Beratungsanliegen sehr wichtig ist. Es entsteht ein wachstums- und lösungsorientierter Beratungsprozess, der maßgeblich durch Verständnis geprägt und in der Beratungsbeziehung gestaltet werden kann. Das kann ein Chatbot kaum leisten.
Welche Vorteile kann der Einsatz von KI im Bereich der Online-Beratung haben, wo könnte es nützlich sein?
Eine KI kann einen Beratungsprozess vielfältig unterstützen und mitgestalten. In Deutschland gibt es einen hohen Beratungs- und Therapiebedarf, vor allem im therapeutischen Bereich sind die Möglichkeiten und Ressourcen sehr limitiert. Teilweise warten Betroffene Monate bis Jahre auf einen Therapieplatz. Beratungen können diesen Bedarf nur eingeschränkt auffangen. Insofern können KIs eine sinnvolle Unterstützung sein und des Weiteren auch Beratungspausen überbrücken. Die Beratung durch KIs spricht auch eine neue Zielgruppe an, sodass Beratung noch zugänglicher und mehr auf das Leben und den Alltag der Ratsuchenden abgestimmt werden kann. Menschen, denen es noch nicht möglich ist, mit einem anderen Menschen zu sprechen oder zu schreiben, können sich zunächst an einen Bot wenden und dadurch Mut fassen, um im nächsten Schritt eine persönliche Beratung wahrzunehmen. Möglicherweise könnten KIs bei technischem Fortschritt und Weiterentwicklung sogar bei der Erstanamnese der Fragestellung oder der Diagnostik von psychischen Krankheiten hilfreich sein. Zuletzt können fachlich spezialisierte Chatbots auch bei der Integration von Tipps und Hilfen in den Alltag unterstützen, wenn man sie regelmäßig und mit Bedacht nutzt.
Und welche Nachteile sollte man bedenken?
Neben den bereits genannten Punkten wie die eingeschränkte Empathie, begrenzte Flexibilität usw. spielen meines Erachtens auch rechtliche und ethische Punkte eine Rolle. Trägt die KI eine Verantwortung für die Ratsuchenden und wenn ja welche? Was geschieht, wenn die Grenzen der Beratung erreicht sind oder der Chatbot einen Fehler macht, das heißt eine Situation falsch einschätzt? Was passiert in Fällen, wo psychische Störungen, Traumata, Gewalterfahrungen oder ähnliches vorliegen? Klare Regelungen und Transparenz sind also sehr relevant und essenziell für die weitere Entwicklung der Systeme.
Des Weiteren ist wichtig, dass die bestehenden Beratungs- und Therapieangebote nicht zu sehr von Chatbots ersetzt werden. KIs können komplexe Probleme, Fragestellungen oder gar psychische Erkrankungen kaum in ihrer Gänze erfassen und verstehen, geschweige denn lösen oder heilen.
Außerdem kann es zu emotionalen Schwierigkeiten oder Veränderungen der Sozialkompetenzen kommen. Ein Beispiel ist, dass Chatbots immer und überall verfügbar sind, solange es einen Internetzugang gibt. Betroffene, die möglicherweise sehr unsicher sind und zu Abhängigkeiten neigen, könnten also nicht ausreichend in ihrer Eigenständigkeit und Ablösung gefördert werden. Im Beratungsprozess ist das jedoch sogar ein sehr wichtiger Bestandteil ist, der vor allem zum Ende der Beratung mehr im Vordergrund steht. Wenn ein Betroffener sich nun zu sehr auf einen Chatbot verlässt und fast nur noch mit diesem kommuniziert, entstehen dadurch möglicherweise neue Problematiken.
Ein weiterer Aspekt ist, dass einige Chatbots auch kostenpflichtige Angebote wie virtuelle Gespräche oder Therapiesitzungen mit einem Menschen umfassen. Beratung kostet in der Regel nichts oder nur einen geringen Betrag. Eine Psychotherapie wird von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen, wenn es sich um eine anerkannte Therapieschule handelt. Dazu zählen derzeit die Verhaltenstherapie, die tiefenpsychologisch fundierte Therapie, die systemische Psychotherapie und die Psychoanalyse. Ratsuchende Menschen bezahlen durch die Bezahlangebote in Apps oder ähnlichem also möglicherweise viel Geld, obwohl es nicht notwendig wäre.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es viele Vorteile gibt, aber auch die Nachteile sehr wichtig und bedeutsam sind. Meines Erachtens bieten KIs und Chatbots viele Chancen, die Beratung zu unterstützen und zu ergänzen, können und sollen sie aber nicht ersetzen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Systeme weiterentwickeln, um die offenen Fragen zu beantworten.
Vielen Dank für Deine Antworten!